NL/Pressemeldung Interview zum 20. Jubiläum – 19.06.2023
Internationales Bergfilm-Festival Tegernsee, 18. bis 22. Oktober 2023
„Heldenpathos muss man sich heute nicht mehr antun“
Seit zwanzig Jahren ist Michael Pause verantwortlich für das Programm des Internationalen Bergfilm-Festivals Tegernsee. Seither verfolgt er konsequent den Weg zwischen Umbruch und Tradition. Im Gespräch zum Jubiläum führt er aus, was er von einem guten Bergfilm erwartet und was für ihn die lustigsten, überraschendsten Beiträge waren – und beinahe der größte Reinfall.
Michael Pause, welches ist Ihr liebster Bergfilm in der Filmgeschichte?
„Abenteuer im Engadin“ aus dem Jahr 1932 – und mindestens drei Dutzend andere Filme.
Warum?
Es ist ein Schwarzweiß-Skifilm, für den der wohl bedeutendste deutsche Bergfilm-Pionier Arnold Fanck das Drehbuch geschrieben hat. Die simple Geschichte hat zwar einen gewissen Unterhaltungswert und viel Humor, aber beeindruckend sind vor allem die fantastischen Bilder der Skifahrer im Winterwunderland des Engadins.
Haben Sie von den Gewinnerfilmen der vergangenen 20 Jahre einen Favoriten?
Ich nenne zwei besondere Filme: „Der Draht des Lebens“ (2003) und „Olga e il tempo…“ (2009). Beide schildern das archaische Leben in den Bergen – kommentarlos, zeitlos. Wenn man sich als Zuschauer erst einmal darauf eingelassen hat, spürt man, dass man was Außerordentliches zu sehen bekommt. Wahre Doku-Kunstwerke!
Was war der lustigste Beitrag?
„Schnee in Marrakesch“ – wunderbar ironisch. Eine groteske Geschichte, die sich mit Klischees und Vorurteilen auseinandersetzt. Außerdem die Kurzfilme „Kurt und der Sessellift“ sowie „Simply the worst“. Unbedingt anschauen!
Was der größte Reinfall?
Kein Reinfall, aber ein Nervenkitzel: Zwei Stunden vor Beginn der Preisverleihung meldete sich der Gewinner des Großen Preises aus Sibiu in Rumänen, weil er wegen einer technischen Panne an einer Lufthansa-Maschine festhänge. Ich ging auf die Bühne und schaltete auf „Entschleunigung“: Wir improvisierten, zeigten längere Filmausschnitte als geplant – und viele Zuschauer merkten es gar nicht. Um halb elf ging die Tür auf und der Sieger marschierte herein. Es war sicher die Preisverleihung mit der größten Spannung – für uns Organisatoren.
Die größte Überraschung?
„Asiemut“, ein kanadischer Dokumentarfilm, der die 8.000 Kilometer lange Rad- und Philosophiereise eines jungen kanadischen Paares von der Mongolei nach Indien schildert. Die größte Überraschung, weil wir den Beitrag auf einen Tipp aus Banff hin noch nachträglich angefordert hatten. Wir konnten ihn im Vorfeld nicht einmal sichten – am Ende wählte die Jury ihn zum Siegerfilm!
Welche Promis waren in 20 Jahren da?
Der großartige Redner und Denker Heiner Geißler, er war als Schirmherr ein Glücksfall für das Festival – und er hat trotz seiner vielen Verpflichtungen das Festival fast nie verpasst. Er fühlte sich immer pudelwohl in der Bergsteiger-Community. Als besondere Gäste kamen Willy Bogner, Markus Wasmeier, Kurt Diemberger, Alexander Huber, Stefan Glowacz, Gerhard Baur, David Lama, Jörg Auer, Viktoria Rebensburg, Christoph Hainz und viele andere.
Sie wollen zum 20. Jubiläum zurückblicken auf die Anfänge des alpinen Films. Was wird gezeigt?
Ich möchte neben den Wettbewerbs-Beiträgen noch andere Filme zeigen, bei denen die Besucher auch sehen können, welche Typen sich an dieses Genre gewagt haben. Ich finde es hochinteressant, in einem Porträt von Arnold Fanck diesen genialen Film-Pionier kennenzulernen. Wir werden in Sachen „Retrospektive“ auch einen Film von Dr. Otto Guggenbichler, dem Initiator unseres Festivals zeigen. Zudem gibt’s heuer zwei große Jubiläen, denn vor 70 Jahren wurden zunächst der Mount Everest und kurz darauf der Nanga Parbat erstmals bestiegen – auch das werden wir in der Programmplanung berücksichtigen.
Es geht doch heute im Bergfilm nicht mehr nur um Helden, den Kampf in der Natur oder Rekorde. Was hat sich in den letzten Jahren geändert?
Das ganz große Heldenpathos, dem man sich bei den Bergfilmen der ersten Jahrzehnte nicht entziehen konnte, muss man sich heute nicht mehr antun. Aber Helden und Heldinnen begegnet man noch immer, allerdings auf einer ganz anderen Ebene: Es gibt ja auch eher stille Persönlichkeiten, die in den Bergen „Heldenhaftes“ leisten und dabei authentisch bleiben, sich nicht in den Vordergrund drängen und über die sich eben doch eine gute, spannende Geschichte erzählen lässt.
Über 150 Einsendungen hat das Festival. Nach welchen Kriterien sichten Sie und wie hat man als Filmer gute Chancen, am Ende einen der begehrten Preise zu gewinnen?
Die Vorauswahl-Jury sichtet alle Einreichungen und beurteilt ganz nüchtern, ob die einzelnen Filme der Ausschreibung des Wettbewerbs entsprechen. Im zweiten Schritt wird in einer Diskussion die Qualität bewertet und benotet. Auf dieser Basis erfolgt die Auswahl jener Filme, die beim Festival vorgeführt werden und schließlich wird noch die Shortlist mit den höchst-bewerteten Filmen der Wettbewerbskategorien zusammengestellt. Eine zeitaufwändige und verantwortungsvolle Arbeit.
Käme ein Film, der in keiner einzigen Sequenz das Thema Berg aufgreift, bei Ihnen überhaupt ins Programm?
Kann ich mir nicht vorstellen (lacht), aber das „Thema Berg“ greift weit aus und lässt viel Interpretations-Spielraum. Wir glauben, dass die Berge immer noch genügend Faszination ausstrahlen und Stoff für außergewöhnliche Filme hergeben. Im Herbst wollen wir’s wieder beweisen.
Info: Sonderbüro Bergfilm-Festival Tegernsee, Rathausplatz 1, 83684 Tegernsee,
Tel. +49(0)8022-1801-37 oder -53, bergfilm@tegernsee.de, www.bergfilm-tegernsee.de